Aus der PRESSEMITTEILUNG von Jutta Paulus, 6. Juli 2022 - Straßburg

Soeben hat das Europäischen Parlaments das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Nachhaltigkeitslabel für Atomkraft und Gas in der EU-Taxonomie, einem Klassifizierungsverfahren für nachhaltige Finanzen, angenommen (278 Stimmen stimmten für den Einspruch gegen das Nachhaltigkeitslabel, 328 dagegen und 33 enthielten sich).

Investitionen in Atomkraft und Erdgas werden somit auf Jahrzehnte als nachhaltige Investitionen klassifiziert. Anders als im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren können die Abgeordneten einen Delegierten Rechtsakt der Kommission lediglich ablehnen oder stillschweigend annehmen. 353 Stimmen wären nötig gewesen, um den fraktionsübergreifenden Einwand gegen den Kommissionsvorschlag anzunehmen.

Dazu kommentiert die Energieexpertin der Grünen/EFA im Europäischen Parlament, Jutta Paulus:

„Es ist sehr bitter, dass die nötige Parlamentsmehrheit für die Verhinderung des Nachhaltigkeitslabels für Atomkraft und Gas verfehlt wurde. Die Europäische Kommission hat das Greenwashing klima- und umweltschädlicher Technologien am ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vorbei durchgedrückt, trotz zahlreicher wissenschaftlicher und juristischer Bedenken. Und die in letzter Minute geworfenen Nebelkerzen bezüglich der Anwendbarkeit und Bedeutung der Taxonomie haben über eine faktenbasierte Bewertung gesiegt. Das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger in die EU-Taxonomie ist damit zerstört. Ich begrüße die Ankündigung von Luxemburg und Österreich, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den zweiten Delegierten Rechtsakt zu klagen. Denn die Kommission hat nach Ansicht vieler Juristinnen und Juristen ihre im Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union festgelegten Befugnisse klar überschritten.“

Hintergrund:

Die EU-Taxonomie ist eine für alle EU-Mitgliedstaaten bindende Verordnung, mit der Kriterien für nachhaltige Investitionen definiert werden. Da im Rahmen der Verhandlungen zur Taxonomieverordnung keine Einigung zur Rolle von Erdgas und Atomkraft erzielt werden konnte, wurde die Klärung dieser Punkte verschoben und die Europäische Kommission aufgefordert, auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse einen Delegierten Rechtsakt vorzulegen.

Mit ihrem zweiten Delegierten Rechtsakt plant die Europäische Kommission, Atomkraft und Erdgas ab 2023 als nachhaltige Übergangstechnologien einzustufen. Atomkraft soll nach dem Willen der Kommission als nachhaltig gelten, falls Fonds für die Lagerung des Atommülls und den Rückbau der Kraftwerke existieren und Pläne für ein Endlager existieren. Das soll nicht nur Neubauten, sondern auch Laufzeitverlängerungen betreffen. Investitionen in fossiles Erdgas sollen bis 2030 möglich sein, unter der Bedingung, dass es Pläne oder Verpflichtungen für den Einsatz sogenannter „low carbon“ Gase spätestens ab 2035 gibt. Für beide Energieträger gilt allerdings: taxonomiefähig wären nur Investitionen in Kraftwerke oder Fernwärmenetze. Förderung von Uran oder Gas sowie deren Transport werden im Delegierten Rechtsakt nicht erwähnt.

Eine Vielzahl von Expertinnen und Experten, unter ihnen auch die Europäische Investitionsbank, lehnen das Kommissionsvorhaben ab.