Es wurde am 13.12.2022 berichtet: "In den USA wurde erstmals von einer Kernfusions-Kammer mehr Energie freigesetzt, als hineingesteckt wurde." Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, schneller als die dortigen Wissenschaftler einen wissenschaftlichen Artikel schreiben konnten und schneller als die Ergebnisse unabhängig geprüft werden konnten. 

Die Meldung, als "Meilenstein" angepriesen, fachte in der Presse und in den sozialen Medien auch die Diskussion zur Sinnhaftigkeit dieser Technologie an. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sollen an dieser Stelle einige Aspekte aufgeführt werden:

  • Ein alter Schmäh unter Forschenden und Physik-Nerds lautet:
    "Die einzige Konstante in der Fusionsforschung sei, dass es zu jedem Zeitpunkt in 30 Jahren einen funktionierenden Fusionsreaktor geben werde. Die Kernfusion ist die Karotte vor der Nase der Menschheit: Energie, die praktisch kostenlos, unendlich, sauber und zum Greifen nahe scheint. Und das nun schon seit 60 Jahren." schrieben Philip Pramer und Reinhard Kleindl am 16.12.2022 (vergleiche dazu auch den Spiegel Beitrag "Atomenergie: 'Eine chaotische Entwicklung' " von 1977).
  • Geschichte wiederholt sich:
    Man feiert die Aussicht auf eine "klimaneutrale", unendlich sprudelnde und von allen anderen Ressourcen unabhängige Energiequelle, ein Szenario, das wiederum an die phantastische Gehirnwäsche der Atomwaffenlobby zur paradiesischen zivilen Atomkernspaltung im vorigen Jahrhundert erinnert.
  • Die mediale Ente:
    "Die Fusionsforscher des großen US-Labors LLNL machen das, was sie am besten können: Erfolge vermelden." wird von Katharina Menne im Spektrum geschrieben. Die Rechnung wurde schön gerechnet schreibt sie: "Doch in dieser Rechnung wird ein entscheidender Faktor – der für die Stromerzeugung eigentlich essenziell ist – nicht berücksichtigt: der gesamte Energieverbrauch der Anlage. Die 192 Laser benötigen zunächst einmal stattliche 322 Megajoule Energie, um überhaupt Laserlicht zu erzeugen – also rund 100-mal mehr, als die Fusionsreaktion freisetzt." Andere Veröffentlichungen sprechens sogar von 300-mal mehr.
  • Nicht für den zivilen Dauerbetrieb:
    Das in den USA verwendete Konstruktionsprinzip eignet sich nicht für den zivilen Dauerbetrieb, da die sogenannten Pellets sehr genau im Reaktor einzeln platziert werden müssen.
  • Was ist die eigentliche Triebkraft?:
    Wir lesen in Wikipedia zum National Ignition Facility (NIF): "Die National Ignition Facility ist eine Einrichtung des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Livermore, Kalifornien... In dieser Anlage, die 2009 fertiggestellt wurde, finden Experimente zur Trägheitsfusion statt. Zweck ist die Simulation von Kernwaffenexplosionen, um die Funktionssicherheit der US-amerikanischen Kernwaffen ohne ober- oder unterirdische Kernwaffentests zu gewährleisten." Und über das LLNL erfahren wir in www.atomwaffena-z.info: "Den Löwenanteil seiner Arbeit machen allerdings Forschung und Entwicklung im Bereich Atomwaffen aus. Neben Los Alamos war es [dieses*] Labor, das maßgeblich für die Entwicklung sämtlicher Atomwaffendesigns verantwortlich war."
  • Konkurrenz zum Ausbau der erneuerbaren Energien:
    Die Kernfusionsforschung, die primär eine militärische Zielrichtung bedient, gibt als Feigenblatt für die zivile Nutzung das Fern-Ziel die Stromerzeugung vor. Die Kernfusionsforschung konkurriert damit mit notwendigen Investitionen in den Ausbau erneuerbarer Energien.
    Und dass obige Meldung eine forschungspolitische Wirkung in Deutschland entwickelt hat, zeigt die Pressemitteilung des BMBF vom 13.12.2022 "Historischer Tag für die Energieversorgung der Zukunft", in der die FDP Ministerin Stark-Watzinger mitteilt: "Das Bundesforschungsministerium fördert die Fusionsforschung bereits seit Jahren und plant, sein Engagement im nächsten Jahr weiter auszubauen." Riesige Geldmittel fließen in die europäischen Projekte zur Entwicklung des Reaktors ITER und des Demonstrationskraftwerks DEMO.
  • "Die Klimakrise wartet nicht!" schreibt das RND:
    "Klimaforschende betonen, dass immer weniger Spielraum bleibt, um eine massive Erderwärmung noch abzuwenden. Kurzfristig kommt die Kernfusion also nicht infrage, um das Energieproblem zu lösen."
  • Angreifbare Infrastruktur:
    Wir brauchen keine zentralisierten Fusionskraftwerke als sensible High-Tech-Reaktoren, die im Falle einer militärischen Auseinandersetzung über Cyberangriffen oder mit etwas Gewalt von außen außer Gefecht gesetzt werden könnten.
  • Gerechtigkeitsprobleme:
    Auf der Webseite https://www.wir-ernten-was-wir-saeen.de wird noch weiter gedacht: "Dies könnte in Zukunft auch zu Gerechtigkeitsproblemen führen, zum einen zwischen hoch entwickelten und sich entwickelnden Regionen, zum anderen zwischen den Generationen – die heute die Mittel aufbringen, werden von der Leistung kaum selbst noch profitieren."
  • Radioaktiver Abfall:
    Das Max-Planck-Institut gibt zu: "Ein Fusionskraftwerk erzeugt radioaktiven Abfall, weil die energiereichen Neutronen, die bei der Fusion entstehen, die Wände des Plasmagefäßes aktivieren. Wie intensiv und wie lang andauernd diese Aktivierung ausfällt, hängt von den Materialien ab, auf welche die Neutronen auftreffen. ... Insgesamt wird ein Fusionskraftwerk während seiner etwa 30jährigen Lebenszeit je nach Bauart zwischen 60.000 und 160.000 Tonnen radioaktiven Materials erzeugen, das nach Betriebsende des Kraftwerks zwischengelagert werden muss."
  • Versprödung:
    Die hohe Neutronenstrahlung wird wie bei den AKWs zu Versprödungen der verwendeten Materialien führen. Mag sein, dass versprödete Rohre, die derzeitig bei AKWs vielleicht zu einem Atomunfall führen könnten, keine derartig schlimmen Umweltkatastrophen herbeiführen können, aber aus diesen Gründen rechnet man mit maximalen Betriebszeiten von 30 Jahren für diese High-Tech-Reaktoren.
  • Zu kurz gedacht:
    Ein Beispiel, dass Techniker bei der Entwicklung von neuen Technologien nie ganzheitlich den Rattenschwanz aller Folgen abschätzen wollen / können:
    Bei uns im Forschungsreaktor BER II wurde Beryllium in der Nähe der Brennelemente als Neutronenreflektoren verwendet. Das Beryllium wurde aktiviert. Weltweit gibt es wohl noch kein Land, das dieses Metall endlagerungsfähig konditioniert und verpackt hat. In Deutschland gibt es davon 3 Tonnen. Es wurde jetzt erst ein Projekt "Konzeptstudie zur Entsorgung von aktiviertem Beryllium aus Forschungsreaktoren (KONEKT)" durchgeführt, das weiteren offenen Forschungsbedarf adressierte.
    https://www.helmholtz-berlin.de/media/media/projekte/rueckbau/dialog/dokumente/15s9405a-b-konekt-abschlussbericht.pdf.
    Jedes bei Fusionsreaktoren den Neutronen ausgesetzte Material und auch deren Verunreinigungen werden hoch radioaktiven Müll produzieren. 

SW

Siehe auch: Katharina Menne "Die Zukunft der Fusion liegt immer noch in der Zukunft" Spektrum.de vom 14.12.2022