Den Anlass für diesen Beitrag bildete die Nachricht der faz vom 24.09.2025, dass „Die drei Start-ups Proxima Fusion, Marvel Fusion und Focused Energy … eine Anschubfinanzierung vom Bund [fordern], um den technologischen Vorsprung Deutschlands zu sichern.“ Und damit es sich lohnt, werden gleich 3 Milliarden Euro für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren aus Steuermitteln gefordert.

Ein bewährtes Ablaufmuster

Dieses Einwerben von Fördermitteln nutzt ein bewährtes und vielfach genutztes Ablaufmuster zur Akquirierung von Fördergeldern, anwendbar auf private Start-Ups wie auch für Antragsteller aus der öffentlichen Forschung nach dem Motto: „Finanzierung eines neuen (Wunder-)Projekts“:

  1. Werden Sie wichtig mit „positivem Denken” und zitieren Sie bedeutende Wissenschaftler.
    Behaupten Sie, einige „Ansätze” für Lösungen schwieriger Probleme zu kennen!
  2. Machen Sie viele schwer überprüfbare Aussagen und Versprechungen.
    Irgendetwas muss schon stimmen. Und außerdem ist das menschliche Gedächtnis sehr kurz.
  3. Schlagen Sie viel zu teure Experimente vor, denn die akzeptierten Versionen können offensichtlich nur „halbe” Antworten liefern.
  4. Experimente sind immer ein Erfolg! Wir lernen immer etwas Neues.
    Im nächsten Schritt müssen wir ein präziseres Experiment durchführen.
  5. Im seltenen Fall eines Misserfolgs können wir dies mit unerwarteten Umständen und unbekannten Problemen erklären. Auf jeden Fall sind immer andere schuld.

Warum geht es bei der Kernfusion nur um das Geld?

Vor zwei Jahren wurde Mario Draghi von der EU-Kommission beauftragt, einen Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu erstellen. Der Bericht mit dem Titel „The Future of European Competitiveness“ erschien 2024.
Dieser Report basiert auf einem Set von wirtschaftlichen Grundannahmen, auf denen Handlungsempfehlungen aufbauen. Wenn diese Grundannahmen aber fehlerhaft oder zumindest unvollständig sind, dann bricht das Empfehlungskonzept in sich zusammen. Aber die Empfehlungen zur Kernfusion basieren nicht auf einer technischen Machbarkeitsanalyse, sondern das Technologiefeld Kernfusion wird eher als Teil eines „Investitionsproblems“ betrachtet. So sind die Empfehlungen dann auch nur finanzpolitischer und wettbewerbspolitischer Art. Der Draghi-Report weiß nichts von einem Projektrisiko „Kernfusion“. Er behandelt die Kernfusion wie eine Investmentoption, nicht wie ein technologisches Wagnis!

Man sagt, die Gründung von vielen Fusions-Start-ups in Deutschland und weltweit spiegelt das zunehmende Interesse an innovativen Energiequellen und den technologischen Fortschritten wider. Aber die eigentliche Triebkraft ist wahrscheinlich, dass Risikokapitalgeber in der Kernfusion ein zukünftiges Marktpotenzial und Profit wittern. Und man will nicht zu spät kommen für die „kommerzielle Fusionsenergie“. Und so blickt man wohl neidisch auf die Konkurrenz aus den USA und China, die über einen größeren Finanzierungsrahmen verfügen sollen. Und damit man in Deutschland nicht am Katzentisch sitzt, braucht man ebenso viel Geld! Aber die wenigsten reden über den Inhalt.

Wenn Geldgeber wüssten,

dass es berechtigte Zweifel gibt, dass die Kernfusion die Energieprobleme der Menschheit lösen wird. So hatte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag im letzten Jahr einen sehr objektiven Bericht „Auf dem Weg zu einem möglichen Kernfusionskraftwerk - Wissenslücken und Forschungsbedarfe aus Sicht der Technikfolgenabschätzung“ veröffentlicht. Darin wurden wesentliche Schwachstellen benannt:

Wenn kommerzielle Fusionskraftwerke um die Mitte des Jahrhunderts ans Netz gehen sollen, ist die wissenschaftliche Machbarkeit eines energieerzeugenden Plasmas eine notwendige, aber beileibe keine hinreichende Bedingung. Wie in diesem TA-Kompakt aufgezeigt wurde, besteht bis zu einem funktionstüchtigen Fusionskraftwerk noch ein hoher Bedarf an Forschung und Entwicklung, u. a. bei kraftwerkstauglichen Materialien, beim Tritiummanagement sowie bei der Integration der Einzelkomponenten in ein Gesamtsystem.
Welche Eigenschaften Fusionskraftwerke haben werden, hängt vom Resultat der Entwicklungsbemühungen in den nächsten Jahren ab. Hier bestehen vielfältige offene Fragen u. a. im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Ressourcenbedarf, Emissionen, nukleare Sicherheit, Erzeugung von radioaktiven Abfällen sowie Proliferationsrisiken. Am Ende wird die entscheidende Frage sein, ob Fusionskraftwerke insgesamt gesehen einen gesellschaftlichen Nutzen versprechen.“


Aber dieser Bericht fand noch keinen Eingang in parlamentarische Vorgänge des Bundestages. Es sollte eingefordert werden, dass vor einer solchen üppigen Geldspritze in Start-Ups zur Kernfusion dieser Bericht parlamentarisch diskutiert und bewertet wird.
Aus Zeitmangel konnte der TAB-Bericht aber nicht alle Themenfelder der Kernfusion beleuchten. Aus diesem Grund sollten folgende Probleme mit in die Abwägung fließen („Bitte Kernfusion nur auf der Sonne! Sammlung von Argumenten gegen die Kernfusion auf der Erde.“).

Die Gesellschaft braucht keine Fusionskraftwerke, da diese Technologie:

  • zu spät kommt, um einen relevanten Beitrag zur Reduzierung des CO₂-Ausstoßes zu leisten,
  • mit gravierenden Nachhaltigkeitsproblemen verbunden wäre,
  • von der Politik als vermeintlicher Garant für grenzenloses Wachstum ohne Energieprobleme verkauft wird,
  • sich als nicht regelbares Grundlastkraftwerk nur schwer in ein von erneuerbaren Energien dominiertes Stromnetz integrieren lässt,
  • und darüber hinaus durch die freiwerdende Energie eine „thermische Umweltverschmutzung“ erzeugt, die langfristig zur Erwärmung des Planeten beiträgt.

Die Fusionsforschung bindet jedoch wesentliche Forschungsgelder und entzieht damit dringend benötigte Gelder der Forschungslandschaft für Erneuerbare Energien.

Auch an der Wirtschaftlichkeit werden Fusionskraftwerken scheitern:

  • Für zukünftige Grundlastkraftwerke (jeglicher Art, d.h. auch Fusionskraftwerke) müssen die Stromgestehungskosten bei etwa 8 bis 9 cent / kWh, d.h. auf dem Niveau von Photovoltaik und Windkraft, liegen.
  • Der Gesamtwirkungsgrad von Fusionskraftwerken wird im Bereich von 20 bis 30 % liegen. Vielleicht wird er aber noch schlechter sein, da die thermische Energie bei ITER auf ca. 20000 m³ verteilt wird.
  • Fusionskraftwerke werden aufgrund der Parameter „Zuverlässigkeit, Verfügbarkeit, Wartbarkeit und Inspektionsfähigkeit“ nicht wirtschaftlich sein können, ein Wissensfeld, das bisher vernachlässigt wurde.

Die Umweltauswirkungen von Fusionskraftwerken werden kleingeredet:

  • Es gibt keine umfassende Nachhaltigkeitsanalyse von Fusionskraftwerken mit einer gründlichen globalen Betrachtung der Ressourcenverfügbarkeit und der Langzeitfolgen für Umwelt sowie für die Gesellschaft.
  • Die Folgen von globalen Tritium-Emissionen aus einer breit angewendeten Technologie von Fusionskraftwerken wurden nicht genügend analysiert.
  • Tritium ist wahrscheinlich ein in seiner radiotoxikologischen Wirkung unterschätztes Isotop, müsste jedoch massenhaft produziert und transportiert werden.
  • Die radioaktiven Abfallmengen von Fusionskraftwerken werden ein Vielfaches der von Kernkraftwerken sein.
  • Fusionskraftwerke benötigen auch Endlager.
  • Fusionskraftwerke benötigen zusätzlich sichere oberirdische Lager für die mittelfristige Lagerung von radioaktiven Abfällen.

Wann zieht Realismus bei der Bewertung der Kernfusion ein?

Oh, das kann man leider nicht voraussagen, denn das System „Kernfusionsforschung“ leidet aus verschiedenen Gründen an mehreren chronischen Defiziten:
Menschen tendieren dazu, bestehende Systeme und Entscheidungen für „natürlich“ oder „richtig“ zu halten, weil diese bereits so lange existieren bzw. so viel in diese investiert wurden. Kernfusionsforschung wird ca. seit 70 Jahren betrieben. Das ist also grob zweimal ein ganzes Forscherleben. Werte, Überzeugungen und Handlungsweisen werden von einer Generation an die nächste weitergegeben. Es wird immer schwieriger, Traditionen über den Haufen zu werfen – ein soziologisches Problem.
Aber auch aufgebaute Institutionen und persönliche Karrieren und hängen von einem einmal eingeschlagen Forschungs- oder Technikpfad ab. Tradierte Forschungsstrukturen sind nicht mehr in der Lage, sich den tatsächlichen wissenschaftlichen Aufgabenstellungen, abgeleitet aus den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen, zuzuwenden – da hilft auch kein Wissenschaftsrat.
Je größer Organisationen sind, wird ein Kurswechsel unwahrscheinlicher, da dies mit einem Prestigeverlust und ggf. mit dem Verlust von Machpositionen an Projekten verbunden wäre. Das Festhalten an Mammutprojekten, auch wenn fundamentale Zweifel bestehen, ist ein organisatorisches Grundproblem von Großforschung („Big Science“).
Diese verkrusteten Strukturen können eigentlich nur von außen aufgebrochen werden, denn die politische Beratung zur Kernfusion wird seit Jahrzehnten von denselben Akteuren dominiert: Forschungsinstitutionen, die selbst massiv von Fördergeldern abhängen, und Lobbyisten, die die Vision einer zukünftigen Fusionsenergie vermarkten. Dadurch entsteht ein geschlossenes System, in dem Zweifel und unabhängige Bewertungen kaum Platz haben.
Lösungswege können nur sein, über parlamentarische Initiativen Transparenz zu erzwingen und umfassend über Kosten und Zeitpläne zu informieren. Jede Milliarde an Euros, die in die Fusionsforschung fließen soll, muss in einem transparenten Abwägungsprozess gegen Investitionen in Speicher, Netze oder Effizienzmaßnahmen gegengerechnet werden.
Es muss eine Pluralisierung der Beratung angestrebt werden. Das Monopol der Fusionscommunity bei der Beratung muss durchbrochen werden. Dazu ist öffentlicher Druck notwendig. Politik darf nicht länger nur den „Experten“ aus der Fusion folgen.

SW.