Seit Juni 2012 liegt das Ergebnis der von der Reaktorsicherheitskommission (RSK) durchgeführten Sicherheitsüberprüfung der drei noch verbliebenen sogenannten Forschungsreaktoren in Deutschland vor. Das Ergebnis ist für die Berliner Bevölkerung alarmierend. Doch der Berliner Senat und die Verwaltung glänzen durch Untätigkeit.
Die RSK ist ein vom Bundesumweltministerium berufenes, zwölfköpfiges Beratergremium, das so zusammengesetzt ist, "dass die gesamte Bandbreite der nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vertretbaren Anschauungen repräsentiert ist."
Diese Sicherheitsüberprüfung, teilweise auch "Stresstest" genannt, war nach den Ereignissen in Fukushima von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages beauftragt worden. Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse sind für den Berliner Reaktor katastrophal zu nennen und sie sind für den Berliner Senat und die Verwaltung ein Schlag ins Gesicht.
Schneidet der Bayrische Reaktor hinsichtlich seiner Robustheit und der getroffenen Vorsorgemaßnahmen vergleichsweise gut ab, ist Berlin das absolute Schlusslicht. Wir haben also nicht nur keinen funktionsfähigen Großflughafen, keine funktionierende S-Bahn sondern auch mit deutlichem Abstand den gefährlichsten Atomreaktor der Bundesrepublik Deutschland in unserem Stadtgebiet.
Der Forschungsreaktor in Mainz wird ebenfalls sehr schlecht bewertet, erfüllt aber in allen Punkten der Sicherheitsüberprüfung wenigstens die Mindeststandards. Dennoch wird heute in Mainz schon spekuliert, ob das Ergebnis dieses RSK-Berichts nicht doch das AUS für diesen Reaktor bedeutet. Denn hier hat, im Unterschied zur Untätigkeit in Berlin, die Landesregierung umgehend reagiert und die Behebung der monierten Mängel angeordnet. Die Wirtschaftsministerin des Landes führt dazu auf der Internet-Seite der Regierung aus: "Die Landesregierung legt großen Wert auf die Sicherheit dieses Forschungsreaktors.... Der Maßstab ist immer die Sicherheit der Menschen in der Umgebung."
Und wie reagiert der zuständige Senator in Berlin auf die Bewertung der RSK zur mangelnden Sicherheit des Forschungsreaktors in der Stadt? Ist für ihn auch der Maßstab die Sicherheit der Bevölkerung? Bisher haben wir weder von ihm noch von seiner Verwaltung irgendetwas gehört!
Jetzt zu den einzelnen Ergebnissen und Empfehlungen der RSK für den Berliner Atomreaktor. [1] Fangen wir mit der gravierendsten Feststellung der RSK an:
Bisher wurde bei allen Sicherheitsbetrachtungen eine Kernschmelze z.B. infolge eines Flugzeugabsturzes wegen der geringen Wahrscheinlichkeit nahezu ausgeschlossen. Damit räumt nun die RSK erstmals gehörig auf:
"Für die Bewertung durch die RSK sind die Absturzhäufigkeiten und die darauf aufbauende Risikobetrachtung nur von begrenzter Bedeutung, da in die Robustheitsprüfung auch nicht unfallbedingte Einwirkungen durch Flugzeugabsturz einbezogen werden, für die derzeit keine probabilistische Bewertungsbasis vorliegt." (Seite 41)
Im Klartext: Ein Terrorist steuert ein Flugzeug gezielt in den Atomreaktor und dies entzieht sich nun einmal jeder Wahrscheinlichkeitsbetrachung! Und weiter: " Für die Bewertung solcher Einwirkungen sind die vorliegenden Ergebnisse der Untersuchungen zu den radiologischen Auswirkungen von Bedeutung. Dabei wurden die maximalen Folgen eines Flugzeugabsturzes untersucht." (Seite 41)
Die RSK sagt es ganz deutlich: Es kommt nicht auf die Wahrscheinlichkeit eines Absturzes an, sondern auf die dann möglichen Folgen! Und diese Folgen, die die RSK dann noch einmal aufführt, gibt es weder beim bayrischen noch beim Mainzer Reaktor, das gibt es nur in Berlin:
"Freisetzungen aus einer Kernschmelze im trocken gefallenen Reaktorbecken führen zu Auswirkungen, bei denen die Eingreifrichtwerte für die vorübergehenden Katastrophenschutzmaßnahmen deutlich überschritten werden und auch die Eingreifrichtwerte für weitere Katastrophenschutzmaßnahmen (Evakuierung /Eingreifwert 100 mSv/, Einnahme von Jodtabletten auch für Erwachsene /Eingreifwert 250 mSv/) überschritten werden." (Seite 42) "Da infolge eines Flugzeugabsturzes ein Kernschmelzen ohne Wasserüberdeckung mit erheblichen radiologischen Auswirkungen nicht ausgeschlossen werden kann, ist keiner der ... definierten Schutzgrade erfüllbar." (Seite 42)
Im Klartext: Selbst wenn der Betreiber wollte, könnte er durch keine (durchführbare) Maßnahme diese Sicherheit herstellen! Dieser Reaktor gehört abgeschaltet, und zwar SOFORT!
Um es noch einmal hervor zu heben: Im Falle eines terroristischen Angriffs (z.B. mit Hilfe eine gezielten Flugzeugabsturzes) wird die Kühlung des Reaktors so beschädigt, dass es innerhalb von 20 Minuten zu einer Kernschmelze kommt. Dabei wird so viel radioaktives Material freigesetzt (nach den vom Betreiber selbst in Auftrag gegebenen Studien [2] zwischen 52.000 und 72.000 Terabecquerel, dies entspricht in etwa 10% der Radioaktivität, die nach Behördenangaben in Fukushima bei der Kernschmelze von drei Reaktoren freigesetzt wurde), dass es zu großflächigen Evakuierungen und letztendlich zu Umsiedlungen von ca. 10.000 Menschen in Berlin und Brandenburg kommt.
In der Einleitung der Studie erinnert die RSK den Senat in diplomatisch zurückhaltender Sprache an seine Aufsichtspflicht zur Einhaltung der Sicherheitsstandards nach dem neusten Stand der Technik, der ganz offensichtlich beim Berliner Atomreaktor in vielerlei Hinsicht nicht erfüllt ist: “Abgesehen von diesem sehr ernsthaften Befund hat die RSK nach den Richtlinien für die konventionellen Atomkraftwerke eine sogenannte Robustheitsprüfung vorgenommen. Als Basis der Robustheitsüberprüfung setzt die RSK voraus, dass die betrachteten Forschungsreaktoren dem aktuellen genehmigten Zustand entsprechen und die in den Aufsichtsvorgängen als sicherheitstechnisch wichtig identifizierten Verbesserungsmaßnahmen vollständig umgesetzt sowie ggf. identifizierte Nachweisdefizite behoben sind. Eine Überprüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, wurde im Rahmen dieser Robustheitsprüfung seitens der RSK nicht vorgenommen.“ (Seite 5)
Die Bestätigung der Erfüllung dieser Voraussetzungen gehört zu den regelmäßigen Aufgaben der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden. Bis heute ist der Berliner Senat dieser an sich selbstverständlichen Aufgabe nicht nachgekommen!
Des weiteren bemängelt die RSK in dem Gutachten an verschiedenen Stellen unzureichende technische Nachrüstungen seitens des Betreibers, der Helmholtz-Gesellschaft, bzw. mangelnde Fachaufsicht seitens der Sicherheitsbehörde. So kritisiert die RSK u.a. fehlende Notfallmaßnahmen:
- "... für Notfallmaßnahmen empfiehlt die RSK bei allen Forschungsreaktoren ... die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung anlagenspezifischer Konzepte für anlageninterne präventive und mitigative Notfallmaßnahmen sowie einer Krisenstabsorganisation einschl. entsprechender Festlegungen im Betriebsreglement. Beim BER-II sollte das Konzept auch erweiterte Maßnahmen im Hinblick auf Einwirkungen durch Flugzeugabsturz beinhalten." (Seite11)
- "Eine reaktortypspezifische Umsetzung der 'Rahmenempfehlung für die Planung von Notfallmaßnahmen durch die Betreiber von Kernkraftwerken' aus dem Jahr 2010 wird nach Angaben des Betreibers noch geprüft." (Seite 39) Donnerwetter: Kaum sind zwei Jahre vergangen und schon prüft der Betreiber des Berliner Atomreaktors Empfehlungen zur Sicherheitsverbesserung! Wie lange denn noch?
- "Nach Aussagen des Sachverständigen wird in diesem Zusammenhang ein Notfallhandbuch für den BER-II erwartet, das derzeit nicht, oder nicht in dem zu erwartenden Umfang, vorliegt. Die RSK sieht es als zielführend an, eine Überprüfung des Notfallschutzkonzepts ...vorzunehmen, um eine aktualisierte und systematische Darstellung und Weiterentwicklung zu gewährleisten." (Seite 39)
- "Hinsichtlich von Notfallmaßnahmen zur Kühlung von bestrahlten Brennelementen im Absetzbecken und Umsetzbecken sieht der Sachverständige noch Überprüfungsbedarf und empfiehlt weitergehende Betrachtungen im Rahmen der Erstellung des Notfallhandbuches. Die RSK schließt sich der Meinung des Sachverständigen an." (Seite 40)
Wir können die Senatsverwaltung und die Abgeordneten nur auffordern: Werden Sie tätig! Geben Sie dem Betreiber diese Maßnahmen zur Erledigung auf und untersagen Sie bis zur Erledigung den Betrieb des Reaktors!
Des weiteren bemängelt die RSK unzureichende Schutzvorkehrungen des Reaktorbeckens unabhängig von einem Flugzeugabsturz:
"Der Erhalt der Integrität des Reaktor- und Umsetzbeckens wird vom Betreiber und dem Sachverständigen als die wichtigste vitale Sicherheitsfunktion ausgewiesen. Nach Meinung der RSK reicht es nicht aus, deren Gefährdungsmöglichkeiten nur bezüglich der Einwirkungen Flugzeugabsturz und äußere Explosionsdruckwelle zu betrachten sondern es sollten auch anlageninterne Einwirkungen einbezogen werden." (Seite 38)
Darüber hinaus kritisiert die RSK mangelnde Brandschutzvorkehrungen:
- "Eine Aktualisierung des Brandschutzkonzeptes im Rahmen des Aufsichtsverfahrens sollte nach Meinung der RSK durchgeführt werden." (Seite 7)
- "Zur Robustheit der Anlage gegenüber anlageninternen Brandszenarien, bei denen die Integrität des Reaktor- und Umsetzbeckens (z. B. Dichtheit der Strahlrohre) betroffen sein könnte, enthalten die Unterlagen keine ausreichenden Informationen zur Beurteilung der Leveleinstufung. Nach Meinung der RSK reicht die konzeptionelle Begründung (Vorhandensein von mehrfach vorhandenen mechanischen „Barrieren“) in den vorliegenden Überprüfungsberichten alleine nicht aus, um eine hohe Robustheit dieser Vorsorgemaßnahme zu begründen." (Seite 38)
Auch die Notstromversorgung wird bemängelt: "Die RSK hält eine Umsetzung hinreichend zuverlässiger Maßnahmen zur Verhinderung des Ausfalls der Stromversorgung infolge Überflutung für erforderlich." (Seite 38)
Warum kommt die Senatsverwaltung ihren Verpflichtungen nicht nach? Seit über vier Monaten ist der Reaktor wieder in Betrieb, obwohl die vom TÜV Rheinland monierten Mängel nachweislich nicht behoben wurden und keine der "sicherheitstechnisch wichtigen Verbesserungsmaßnahmen" umgesetzt wurde! Wir vermuten, wenn der Senat der von der RSK geforderten Aufsichtspflicht nachkommen würde und vom Betreiber die Umsetzung der geforderten Maßnahmen seitens des TÜV und der RSK verlangen würde, müsste der Forschungsreaktor sofort stillgelegt werden - und zwar auf Dauer.
Ein einigermaßen sicherer Reaktor wie der in Garching würde Nachrüstungen in einer Höhe von mehreren hundert Millionen erfordern. Doch davor schrecken der Senat und die Bundesregierung zurück. Hier wird mal wieder auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung eine höchst fragwürdige Politik betrieben - und das alles im Namen des Fortschritts.
Die nachstehende Tabelle zeigt in Kurzform die unterschiedliche Bewertung der drei Forschungsreaktoren durch die RSK. In der min/max Spalte ist angegeben, welche Schutz- bzw. Sicherheitslevel von der RSK vergeben werden konnten. Der Berliner Atomreaktor ist der einzige Reaktor Deutschlands, der nicht einmal den Basislevel, den selbst der völlig veraltete Mainzer Reaktor hat, erreicht.
Ereignis | min/max | FR-Mainz | FR-BER II | FRM-II |
---|---|---|---|---|
Erdbeben | Basis / Level 2 | Basislevel | Level 2 | Basislevel |
Hochwasser | Basis / Level 3 | Level 3 | Level 3 | Level 3 |
Station Blackout | nicht erfüllt/erfüllt | n/a | erfüllt | erfüllt |
Robustheit Vorsorgemaßnahmen | Basis / Level 2 | Basislevel | Basislevel | Basislevel |
Flugzeugabsturz | Schutz 1 / Schutz 3 | Basislevel | nicht erfüllt | Schutz 3 |
Explosionsdruckwelle | Schutz 1 / Schutz 3 | Schutz 1 | Schutz 1 | Schutz 2 |
Brennbare Gase | Schutz 1 / Schutz 3 | Schutz 3 | Schutz 3 | Schutz 3 |
Toxische Gase | Schutz 1 / Schutz 3 | Schutz 2 | Schutz 2 | Schutz 2 |
Die 35 Millionen Euro, die die Helmholtz-Gesellschaft jährlich vom Bund und vom Land Berlin allein für den Betrieb des Reaktors erhält, können sicherlich sinnvoller verwendet werden. Denn merke:
Wer einen Forschungsreaktor in einem Wohngebiet betreibt, nimmt massenweise Tote, Verstrahlte, missgebildete Neugeborene und ein unbewohnbares Land billigend in Kauf, denn 100% Sicherheit gibt es nicht!
[1] | Sofern im Folgenden nur eine Seitenzahl angegeben ist, entstammen die Zitate der 56-seitigen Dokumentation "Anlagenspezifische Sicherheitsüberprüfung (RSK-SÜ) deutscher Forschungsreaktoren unter Berücksichtigung der Ereignisse in Fukushima-I (Japan)" der RSK vom 03.05.2012 |
[2] | Axmann, Anton (1994): Radiologische Auswirkungen eines Flugzeugabsturzes auf den Forschungsreaktor BER II. Vergleich der Auswirkungen bei HEU- und LEU-Brennstoff. Berlin: HMI Rödder, Peter (2001): Freisetzung radioaktiver Stoffe aus dem Kern des Forschungsreaktors BER II im Unfall. Berlin: HMI |